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Formate
Formate bauen die kontingente Überfülle des massenmedialen Angebots in lesbare Vertrautheiten und erwartbare Wahrscheinlichkeiten um.

Der Begriff „Format“ bezeichnet das Dispositiv des Mediengebrauchs und ist von der physikalischen Dimension des Mediums zu unterscheiden. Formate organisieren die Anschlüsse und Ausschlüsse in den Massenmedien und ermöglichen sich durch ihren Erfolg: Sieht man einmal davon ab, dass sie als Konvention bereits existieren, wäre es extrem unwahrscheinlich, dass massenmediale Produkte jene Formen annähmen, die durch Formate vorgegeben sind. Das Format kann so Unterschiedliches wie Distributionsform, Länge, Realitätsbezug, Sujet, Komposition, Dramaturgie und verwendeten Zeichenvorrat berühren.

Der Erfolg eines Formats kann sowohl historisch als auch funktional analysiert werden.
Aus der historischen Perspektive kann die Entwicklung einer besonderen, immer komplexer werdenden Zeichensprache beobachtet werden: Explikationen werden in der Regel in Implikationen umgebaut. Mit der Benutzung wachsen Zeichenvorrat und Selbstbezug. Während die Zeichen auf der semantischen Ebene immer differenzierter, verweisungsreicher, komplexer und arbiträrer werden, verkürzen sie sich auf der Ebene ihrer materiellen Erscheinung: Immer mehr wird mit immer weniger gesagt.

Funktionale Analysen müssen sich davor hüten, funktionalistisch zu argumentieren und die Medientechnik und ihren Gebrauch als die Lösung eines Problems zu sehen, das schon vorher und ohne sie bestand.

Formate haben immer zwei Seiten: Einerseits verfügen sie über eine Außenseite, ein leicht zu interpretierendes Schema, das in wenigen Sekunden erfasst werden kann, und andererseits über eine Innenseite, auf der sich Sondersemantiken, -sprachen und -dramaturgien etc. ausbilden.

Durch ihre Zweiseitigkeit ermöglichen Formate den Umbau des kontingenten Überangebots der Massenmedien in individuelle Vertrautheit. Fernseherfahrene Jugendliche können Hunderte von Kanäle in wenigen Minuten durchswitchen und mit großer Treffsicherheit Zuordnungen vornehmen: „Sportsendung“, „Abenteuerfilm“, „Krimi“, „Dokumentarfilm“ „Soap“, „Nachrichten“, „Dauerwerbesendung“, „Talkshow“, „Kriegsfilm“ etc. etc. Ziel ist immer, das Vertraute zu finden. Das Vertraute hat neben der psychologischen eine semiotische Dimension. Die Komplexität von Informationen entfaltet sich in der Regel erst durch Kenntnis: Wer die Regeln des Footballs nicht kennt, wird keine Faszination für eine Football-Fernseh-Übertragung aufbringen können.

Außen- und Innenseite eines Formats verhalten sich zueinander wie ein Versprechen zu seiner Einlösung: Sowohl ästhetisch als auch im Sujet festgeschriebene Schemata stellen ein Versprechen dar, das entlang der Vertrautheit der Zeichen, des Inhalts und der Dramaturgie erfüllt wird.

Beispiel: Der Unterschied zwischen einem Kriegsfilm und einem Abenteuerfilm liegt in der unterschiedlichen Dramaturgie (Abenteuerfilm hat immer ein happy end, Kriegsfilme enden generell in einer Katastrophe). Der geschulte Blick kann in der Regel aus der Ästhetik und einem beliebigen Handlungsfragment - also an jedem Zeitpunkt des Films, selbst dann, wenn es sich beispielsweise in beiden Fällen um Bilder von Personen handelt, die sich mit Maschinengewehren beschießen - zwischen beiden Formaten unterscheiden. Auf diese Weise kann die entsprechende Entscheidung für oder gegen die Rezeption des medialen Produkts gefällt werden.

Ihre Einschluss/Ausschluss-Funktion erfüllen Formate auf zwei Ebenen: Auf der Ebene ihrer Außenseite und auf der Ebene ihrer Innenseite, also einerseits dadurch, dass individuelle Selektion in der Regel auf der Ebene des Formats vollzogen wird (ein massenmediales Produkt, das auf kein Format rekurriert und diesen fehlenden Bezug nicht durch eine entsprechend spannende Erklärung ersetzt, hat wenig Rezeptionschancen) und andererseits dadurch, dass Formate einen rigiden Rahmen setzen und Möglichkeiten von Unmöglichkeiten innerhalb eines Formats hart unterschieden werden.

Auf der Produktionsseite entstehen Formate durch den Wunsch, Erfolgreiches und Erprobtes zu wiederholen. Während im eher künstlerischen Bereich die Selbstbeschreibung eine konstruktive Rolle spielt, sind in den Massenmedien eher mimetische Prozesse am Werk: Erprobtes und Erfolgreiches wirkt hier als Attraktor und wird nachgeahmt. In der Kommunikation zwischen Geldgeber, Produzent und Team werden dem Format oft weitere „Hausnummern“ beigefügt, die entweder in Personennamen (beispielsweise Regisseuren) oder Titeln bestehen.

Dogma 95 war insofern ein Novum, als das Format nicht durch seine Erscheinung und Dramaturgie, sondern durch seine Produktionsweise festgelegt wurde. Dogma 95 ist damit ein operatives filmisches Format. Die performative Methode, Filmformate zu entwickeln, würde im Spiel mit Genres liegen; in Rekombination von semantischen und strukturellen Momenten.

Formate können unterschiedlich kategorisiert werden: Situative Formate können von medialen, interaktive von massenmedialen Formaten unterschieden werden. Man könnte aber auch zwischen wissenschaftlichen, massenmedialen und künstlerischen Formaten unterscheiden.

Da Formate eine maßgebliche Rolle bei der Konstruktion unserer Einsichten spielen und deshalb auch mit den die Erkenntnisse bedingenden (und bedingten) Blindheiten verbunden sind, hat die Arbeit an experimentellen Formaten auch eine epistemologische Dimension.

Formate verwandeln das Überangebot der Massenmedien in lesbare Vertrautheiten. Es besteht die Vermutung, dass die Deutlichkeit des Formatschematas mit dem Angebot wächst. Es bleibt abzuwarten, welche Konsequenzen sich daraus ergeben, dass in Zukunft alle medialen Produkte zu jedem Zeitpunkt verfügbar sein werden.

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