Thomas Atzert
Einführung in »Fear and Camouflage« von Saskia Sassen

Willkommen zum zweiten Teil unseres Jakobinischen Konvents zur Verteidigung von Humanismus, Glück und Freiheit.

Nachdem in der vergangenen Woche Antonio Negri hier in der Volksbühne über »Die ungeheuerliche Multitude« gesprochen hat, freue ich mich, heute Abend Saskia Sassen begrüßen zu können.

Frau Sassen hat ihrem heutigen Vortrag den Titel »Fear and Camouflage« gegeben, also »Angst und Tarnung«. Sie wird darin zeigen, dass das neoliberale Projekt heute weltweit in einer Krise steckt, oder genauer gesagt: in einer Reihe von Krisen. Die Mobilisierung von Panik und Angst dient in dieser Situation dazu, die bröckelnde Zustimmung zu den herrschenden Verhältnissen zu stabilisieren. Zugleich wird Saskia Sassen davon sprechen, wie sich gerade in und durch diese Krise neue Freiräume und Möglichkeiten emanzipatorischen Handelns eröffnen.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen und Ihnen Saskia Sassen kurz vorstellen. Frau Sassen lehrt derzeit Soziologie an der Universität von Chicago und ist Gastprofessorin an der London School of Economics. Richtungsweisend für die Debatten um die Zukunft des Städtischen und die Entstehung und Entwicklung metropolitaner Räume wurde Anfang der neunziger Jahre ihre Studie über New York, London und Tokyo mit dem Titel »The Global City«; eine völlig überarbeitete Neuauflage erschien im Jahre 2001. Im kommenden Jahr wird ihr neues Buch herauskommen, das den Titel trägt »Denationalization: Territory, Authority and Rights in a Global Digital Age«. Saskia Sassens Forschungsarbeit und ihren Publikationen verdanken wir in den Debatten um die Themen Stadt, Bürgerrechte und Globalisierung zahlreiche Impulse.

Wenn wir über Globalisierung sprechen, wird die Wahrnehmung häufig dadurch eingeschränkt, dass der Begriff selbst seine eigene Evidenz produziert, nämlich die Vorstellung, dass sich Prozesse der Globalisierung in erster Linie auf globaler Ebene abspielen würden. An dieser Vorstellung setzt die Kritik von Saskia Sassen an. Sie kritisiert und erweitert damit auch die von Michael Hardt und Toni Negri formulierte These vom Empire als einem Nicht-Ort, als einem »glatten Raum«. Saskia Sassens Konzept der Global City fasst hingegen die Metropole als ein strategisches Terrain, auf dem verschiedene Prozesse zusammenfließen. Sowohl das Empire als auch die Mobilität und Zusammensetzung der Multitude wären demnach konstitutiv für diese Orte.

Die Global City oder Metropole ist deshalb nicht einfach nur ein anderes Wort für Großstadt. Sie ist ein Ort, an dem die Neuzusammensetzungen der globalen Ökonomie sich verdichten und die traditionellen Unterscheidungen von Nord und Süd, Erster und Dritter Welt, Zentrum und Peripherie sich auflösen.
Und die Metropole ist eine räumliche Instanz, in der Prozesse und Konflikte zusammenfließen und sich überlagern, die jenseits der traditionellen Sphäre des Nationalstaats liegen. Dazu gehören Strategien des globalen Kapitals ebenso wie das Handeln der Multitudes; letztere beschreibt Saskia Sassen in einem kürzlich erschienenen Aufsatz als »all jene, die im neuzeitlichen Nationalstaat nicht richtig zuhause sind«. Damit bezieht sie sich positiv auf Migrantinnen und Migranten, auf soziale Minderheiten und auf all jene, die aus vielerlei Gründen außerhalb des Raums der Politik stehen, wie ihn der Nationalstaat definiert.

Diese positive Bestimmung der Global City erlaubt es, die Perspektive zu erweitern: Die Entwicklung der Metropole beschreibt Saskia Sassen zum einen als einen Prozess, in dem Souveränität und Herrschaft nicht verschwinden, sondern zumindest partiell vom Nationalstaat abgekoppelt werden. Zu den Erscheinungsformen postnationaler Souveränität gehören beispielsweise die Privatisierung von Sicherheit und Kontrolle, also von exekutiven Staatsfunktionen. Gleichzeitig ist die Metropole der Ort, an dem neue Formen politischer Subjektivität auftauchen. Auch diese neuen Formen artikulieren sich postnational, sind also nicht mehr an die Institutionen und Repräsentationsformen des Nationalstaats geknüpft. Zu denken wäre hier beispielsweise an das, was Saskia Sassen die »gelebte Erfahrung von Bürgerinnenrechten« nennt, also praktische Formen der Aneignung und Ausübung von sozialen Rechten jenseits eines durch den Nationalstaat gesetzten Rahmens. Diese von ihr so genannte »Dekonstruktion und Neuerfindung der Bürgerinnenrechte« analysiert Sassen in einem weiten Feld von politischer und kultureller Praxis: dazu gehören Proteste gegen Polizeiwillkür ebenso wie sexual preference politics, Hausbesetzungen genauso wie der pink and silver Protest gegen den Parteitag der Republikaner in New York.

»Fear and Camouflage« – und damit komme ich zum Schluss dieser kurzen Einleitung –, Angst und Tarnung, wären also Strategien und Taktiken, die sich auf diesen veränderten öffentlichen Raum, auf diesen gewandelten Raum des Politischen beziehen. Dabei ist klar, dass die Mobilisierung von Angst, dass die Mobilisierung sozialer Panik nicht erst mit dem 11. September begann, dass sie keine Erfindung des Kriegs gegen den Terror ist. Die Schwierigkeiten emanzipatorischer Politik werden mit dieser Feststellung allerdings nicht weniger.

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